Hybridunterricht – Überlegungen an der #GAS
In der Öffentlichkeit gibt es gerade viele Diskussionen über geteilte Klassen (oder „Hybridunterricht“) und es herrscht oft die Vorstellung, man könne einfach die Hälfte der Klasse in der Schule belehren, während der Rest daheim an der WebCam zuschauen könne. Zuletzt hatte die Wochenshow des ZDF dies in den Raum gestellt und dabei vorgerechnet, dass eine WebCam schon für 12€ zu haben sei – günstiger wäre die Digitalisierung kaum zu stemmen.
Das Problem: „Guter Hybridunterricht“ verlangt „guten Unterricht“ und nicht einfach eine achstündige Telekolleg-Sendung. So witzig sich der Spruch anhört – es ist zu bezweifeln, dass Oliver Welke von morgens bis nachmittags an seinem Handy derart gequält werden möchte. Die Kolleginnen und Kollegen der Gesamtschule haben sich in den vergangenen Wochen, sozusagen vorausschauend, Gedanken gemacht und um geteilte Klassen sinnvoll anzudenken, ist es entscheidend, zunächst über guten Unterricht zu sprechen.
Klare Strukturierung
Stunden, in denen die Zeit vergeht, bis die Schülerinnen und Schüler auf das Thema stoßen, sind oft schwierig. Guter Unterricht folgt einem roten Faden, der umso deutlicher herausgestellt werden muss, wenn die Lehrkraft nicht physisch anwesend ist. Worum geht es und was soll heute geschehen?
Jede gute Stunde plant zunächst das Ziel und sucht anschließend die passende Methode aus. Und einem Ziel muss eine klare Strukturierung folgen, zuweilen an verschiedenen Phasen zu erkennen. Eine typische, naturwissenschaftliche Stunde beginnt beispielsweise mit einer Fragestellung oder einem Problem, das in der Stunde durch neue naturwissenschaftliche Erkenntnisse gelöst wird: „Ich habe im 1€-Shop zwei Stabmagnete zum Preis von einem bekommen und – Hilfe – jetzt ist einer ein richtiger Magnet und der andere nur ein angemaltes Stück Eisen. Wie kann ich die voneinander unterscheiden?“
Echte Lernzeit
Guter Unterricht lässt sich mit unterschiedlichen Methoden realisieren, ein signifikantes Kriterium ist dabei aber echte Lernzeit. In einem Philosophiekurs der Oberstufe mag Lernzeit darin bestehen, den Schülerinnen und Schülern in Form eines sokratischen Gespräches Zeit und Anstöße für neue Gedankengänge zu geben. Bei der Arbeit mit Lerntheken bedeutet echte Lernzeit, den Kindern Material bereitzustellen und mich dann möglichst im Hintergrund zu halten. Von jeder sechzigminütigen Mathematikstunde können die Schülerinnen und Schüler dann mindestens 45 Minuten lang arbeiten, ohne von der Lehrkraft behelligt zu werden.
Individuelles Fördern
Alle im gleichen Schritt geht schon im normalen Unterricht nur selten gut – besonders an einer Gesamtschule. Vorne an der Tafel den Satz des Pythagoras erklären bedeutet oft, einen Teil der Klasse mit den Erläuterungen zu überfordern und einen anderen Teil zu langweilen, das den Sachverhalt schon nach fünf Minuten verstanden hat. Während man die verbleibenden Kinder zu begeistern versucht, werden sie vom gelangweilten Rest der Klasse abgelenkt. Guter Unterricht geht auf die verschiedenen Leistungsniveaus der Schülerinnen und Schüler ein, fördert die Schwachen und fordert die Starken.
Ein Hybridunterricht, indem einige Kinder im heimischen Kinderzimmer, andere dagegen im Klassenraum sitzen und alle für die gleichen Aufgaben die gleiche Zeit benötigen, ist Fiktion.
Methodenvielfalt
Die Vorstellung „teilt einfach die Klasse auf und ein paar schauen von zu Hause aus zu“ erfordert eine Variation der eingesetzten Methoden. Eine Doppelstunde Lehrervortrag ist schon im Präsenzunterricht unerträglich, aber da kann man zumindest mit dem Nachbarn Käsekästchen spielen. Nur, welche Methoden lassen sich im Hybridunterricht durchführen?
Auch hier haben wir uns als Schule intensiv Gedanken gemacht, gerade im Hinblick auf die unterschiedlichen Anforderungen der einzelnen Fächer. Lesetexte wechseln sich mit Experimenten ab. Hier müssen Vermutungen mit dem Nachbarn diskutiert werden, dort Skizzen erstellt. Viele der Experimente lassen sich mit dem Handy und Alltagsgegenständen realisieren. Diskussionen laufen auch in virtuellen Videokonferenzen.
Aber: In einer virtuellen Stunde bekämen die Schülerinnen nach einem kurzen Input vor allem einen Auftrag: Abschalten! In Ruhe arbeiten. Ohne, dass ich wie ein Imperator im Hintergrund über die Webcam überwache, wer gerade arbeitet und wer sich eine Pause gönnt. In den letzten zehn Minuten könnte man dann die ein oder andere Station gemeinsam in der Gruppe besprechen. Aber mehr geht nicht.
Vorbereitete Lernumgebung
Allen Gedanken gemein ist, dass die Schülerinnen und Schüler eine vorbereitete Lernumgebung benötigen. Die Kinder können lerne, üben, forschen, experimentieren, diskutieren und spielen. Und jedes einzelne Gebiet liegt vorbereitet eine Armeslänge entfernt. Der Lernprozess soll möglichst nicht unterbrochen werden.
Fazit
Wenn wir als Lehrerinnen und Lehrer Hybridunterricht ernsthaft als Alternative vorschlagen, dann sind wir mehr als sonst gezwungen, uns Gedanken über „guten Unterricht“ zu machen. So wie wir Erwachsene in jeder Lehrerkonferenz zwischendurch wegdriften, ist es für Kinder unmöglich, stundenlang per Video beschult zu werden.
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